Vom Wert der Gemeinschaft - Wie Corona ein Existenzial des Menschseins deutlich macht

Es ist ein mittlerweile schon bekannter Mechanismus: Wenn die Infektionszahlen steigen, wird der Ruf nach weniger physischem Kontakt der Menschen untereinander lauter. In der englischen Sprache ist für diese Forderung mittlerweile der missverständliche Terminus des „social distancing“ gebräuchlich. Missverständlich ist dieser Terminus deshalb, weil – worauf auch immer wieder hingewiesen wird – es ja nicht um eine „soziale“ Distanzierung geht, sondern um physische. Das Fruchtbare an dieser Missverständlichkeit ist der Anstoß, über die verwendeten Worte und das damit bezeichnete Phänomen nachzudenken.

Es ist eine allzu bekannte Erfahrung, dass der Wert von vielen Gütern erst dann deutlich wird, wenn diese Güter nur noch reduziert oder auch gar nicht mehr zur Verfügung stehen. In einer Zeit der physischen Distanzierung – sei diese durch geltende Verordnungen oder aus eigenem Entschluss realisiert – wird deutlich, wie sehr der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, wie sehr er in seinem alltäglichen wie auch in seinem außergewöhnlichen Sein und Tun auf andere Menschen bezogen ist.

Während die Philosophie der Neuzeit in ihrer Entstehung bei und mit René Descartes zunächst das Individuelle und Vereinzelte des Menschen – man denke an das cogito des Descartes, das „Ich denke“ als geistige Substanz, das später in der transzendentalen Apperzeption von Immanuel Kant eine wirkungsmächtige Weiterentwicklung fand – betont wurde, ist in der Philosophie des 20. Jahrhunderts eher das Phänomen des Sozialen und des Mitseins thematisch: Martin Buber sieht das Ich erst am Du zum Ich werden, Martin Heidegger versteht den Grundzug des Mitseins als zentrales Existenzial und Jan Patočka sieht das Individuum gar erst sich herausschälen aus einem vorgängigen, asubjekten phänomenalen Feld – um nur einige Positionen zu nennen, die sich bei aller Unterschiedlichkeit doch in dem einen Aspekt gleichen, dass Humanität nur dort verwirklicht werden kann, wo Gemeinschaftlichkeit gelebt werden kann.

Mit Lust am Denken soll am vorösterlichen Termin des 3.4.2021 ein Schritt auf dem Weg zur Erhellung unternommen werden, was solche Rede nun ganz konkret jenseits gelehriger Schriften heißen kann – in Zeiten der akuten Corona-Pandemie und auch darüber hinaus. Und wie oben schon angedeutet soll auch ein Blick darauf geworfen werden, was die Corona-Pandemie dazu beitragen kann, ein Bewusstsein für diesen Aspekt des menschlichen Daseins (neu) zu gewinnen.